Textschnipsel: Ding-Dong

Das Öffnen der Haustür befördert ihm einen Schwall mit hoher Luftfeuchte gesättigter Luft entgegen. Warm ist sie und von süßlichen Düften durchzogen. Die Frau, die folgt, ganz losgelöst. Ihre Haut augenscheinlich noch weich von heißem Wasser und geschmeidig vom Auftragen diverser Cremes. Haare, die sich nass und kraus in alle Richtungen recken, wie erwachende Schlangen, vom Handtuch zu Leben gerubbelt. Ihre Wangen sind gerötet, doch noch frei von jeglicher Paste, die künstliche Farbe und scheinbare Frische ins Gesicht zu bringen verspricht. Kleidung trägt sie nur begrenzt, einen Bademantel, der ihrer wohl proportionierten Fülle nur schwer Herr werden kann. Sie ist dem feuchten Traum eines Zustellers entnommen, ihr frischer Körper scheint ein Versprechen darzustellen, das seine eigene Erfüllung bereits enthält. Doch die Strenge ihrer ruhenden Stirnfalten verrät ihm, dass sich dies noch junge Gesicht nur selten Entspannung gönnt und ihre misstrauischen Augen schicken der sie umfließenden warmen Luft eine steife kalte Briese hinterher.
„Frau Hinrichs?“, fragt Jörg. Nicken ist die Antwort. Paket und Scanner werden tonlos hingehalten, spitze Finger frisch lackierter Nägel kommen entgegen, setzen eine Unterschrift, die simpelster Art ist. Kein Blick mehr in die Augen und die Tür ist zu.
Das war er, der Traum so vieler Trottel.
Hallende schnelle Schritte ein Treppenhaus mit viel zu steilen Stufen hinab und Jörg ist draußen, das Gesicht der Frau hat er schon vergessen. Da ist nur noch ein wenig dieser Luft, die an ihm haftet. Ganz zart, warm und süß. Doch die Eile wird auch sie verwehen. Die nächste Tür wird kommen, in ihr ein Vater mit schreiendem Kind. Eine Oma mit zitternder Hand. Eine Frau mit Telefon am Ohr. Freundliche Worte, genervtes Stöhnen, zaghaftes lächeln, unruhige Augen, ferne Dialekte, unbekannte Sprachen. Der Geruch von Essen, von Knoblauch, von Zwiebeln, Zigaretten, beißender Duft von After Shafe und Lavendel, von Räucherstäbchen und frischer Wäsche. Fünf Sekunden, sieben, zehn.
Herr Lambach? Frau Marquart? Familie Belzig?
Treppen knarren, sind abgelaufen, unregelmäßig, steil, aus Stein. Geländer das wackelt, Abtreter im Weg, Schuhe quer verstreut.
Türen gehen auf, verwirrte Blicke suchen und finden, Köpfe nicken, verstehen, geben Zeichen und nehmen, verschwinden.
Darin Jörg, Treppe hinauf, hinab. Er versucht, bei aller Flüchtigkeit wenigstens sich selbst zu bleiben, wenn es schon kein anderer macht.

9 Gedanken zu “Textschnipsel: Ding-Dong

  1. Ein toller Schnipsel!!! Darin hats Du ganz viel (D)einer ohne Zweifle sehr feinen Beobachtungsgabe mit sehr schönen Ausdrucksformen zu einem bildhaften, lebendigen, ein Nachhallen hinterlassenden text gezaubert. – Gefällt mir sehr, sehr gut.
    (Dass es zwischendurch nach meinem Empfinden ein oder zwei Mal grammatikalisch ein bisschen geholpert hat und mir im letzten Satz irgendwas zu fehlen scheint – „Er versucht, sich zu bleiben … (treu? oder was sonst) tut dem sehr positiven Gesamteindruck für mich keinen Abbruch.)
    Sehr liebe Grüße an Dich!

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    1. Danke dir😊
      Ja, es war grammatikalisch etwas experimentiert, aber eig müsste alles richtig sein 🤔 wenn du die Zeit finden solltest, würde ich mich freuen, wenn du mir die Stellen nennen könntest.
      Und der letzte Satz ist so gemeint, dass wenigstens er sich noch (übrig) bleibt, wenn schon aes andere so flüchtig ist. Aber vllt muss ich da doch nochmal was umhuddeln…

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      1. Na, dann „meckere“ ich mal, Du hast ja so lieb drum gebeten … 😉
        „Kleidung trägt sie nur begrenzt, ein Bademantel, der ihrer wohl proportionierten Fülle …“ ( Ich würde EINEN Bademantel draus machen wollen …)
        „Doch die Strenge ihrer ruhenden Stirnfalten verraten …“ (Die Strenge … verrät … – würde es aus meiner Sicht korrekter treffen.)
        „Doch die Eile wird es verwehen …“ (wird SIE verwehen – der Bezug ist doch DIE Luft, oder?)
        Aber, wie oben schon gesagt: Der Schnipsel als solcher ist ansonsten total schöln!!!
        Ganz viele, nur liebe Grüße noch einmal! 💚

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      2. Bei dem ersten habe ich lange überlegt… Es ist machbar, was ich geschrieben habe, aber wahrscheinlich müsste ich dann zu einem Semikolon davor greifen.
        Mit verrät hast du absolut recht und das mit der Luft schau ich mir nochmal an.
        Ich danke dir ganz ganz sehr für deine Mühe!!!
        Das bedeutet mir sehr viel😊
        Liebe Grüße dir auch für den heutigen grauen Tag 💞

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    1. Danke Mia, das ist eine wundervolle Anerkennung und ich bin sehr davon bewegt… Du hast mir mit deinen Worten einen sehr schönen Moment gestern geschenkt…
      Liebe Grüße auch an dich!

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  2. Hmm. Da ist aus meiner Sicht noch viel Arbeit übrig. Um mal am Anfang zu arbeiten:
    „Das Öffnen der Tür befördert ihm einen Schwall mit hoher Luftfeuchte gesättigter Luft entgegen. Warm ist sie und von süßlichen Düften durchzogen. Die Frau ganz losgelöst. Ihre Haut noch weich vom warmen Wasser und geschmeidig vom Auftragen diverser Cremes. Haare, die sich nass und kraus in alle Richtungen recken, wie erwachende Schlangen, vom Handtuch zu Leben gerubbelt.“
    Der erste Satz ist unnötig kompliziert und holprig. Vielleicht so:
    „Er öffnet die (Badzimmer)-Tür. Ein Schwall feuchter Luft tritt ihm entgegen; sie ist warm und von süßlichen Düften gesättigt.“
    Nach dem „Er“, den der Leser nun als Bezugspunkt hat (bei dir ist er nur ein „ihm“) hüpft nun plötzlich eine Frau wie Kai aus der Kiste. Der Übergang ist zu abrupt. Behalte die Situation aus den Augen des Mannes bei. Lass ihn betrachten, sehen. Schließlich ist er die Hauptfigur dieses Ausschnitts. Und warum lässt du so oft die Hilfzeitwörter weg und bildest dadurch Halbsätze, die Hektik vermitteln? Vielleicht so:
    „Die Frau, deren Umrisse sich aus dem Dampf schälen, wirkt auf Jörg (vielleicht ist es Zeit, hier seinen Namen zu nennen) ganz gelöst. Ihre Haut wirkt noch weich vom warmen („warm“ hatten wir schon vorher; vielleicht vom „heißen Strahl der Dusche“. Apropos: Hat sie gebadet oder geduscht? Und woher weiß Jörg, wie sich ihre Haut anfühlt?) Wasser und glänzt geschmeidig durch das Auftragen diverser (? Klingt zu sachlich) Cremes. Ihre Haare, die sich nass und kraus in alle Richtungen recken (ich würde „räkeln“ schreiben), wirken auf ihn wie erwachende Schlangen, die sie mit dem Handtuch lebendig rubbelt. (Ein Medusa-Bild, mach mehr daraus!)“
    Auf diese Weise würde ich deinen ganzen Text durchforsten, wenn du das willst. Falls dir das aber nicht passt – was ich gut verstehen könnte – oder du meine Korrektur lieber nicht in der Öffentlichkeit ausgebreitet haben willst, dann sage es mir.
    Liebe Grüße, Nikolaus

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    1. Es stimmt, dieser Schnipsel kam recht roh auf den Tisch und ich habe ihn kein bisschen überarbeitet – im Nachhinein ein recht gedankenloses Vorgehen.
      Ich danke dir für deine Mühen und deine Einwände haben mich einiges an meiner Erzählperspektive überdenken lassen. Allerdings wird sich an dem Stil (Weglassen einiger Hilfswörter) nichts ändern, das ist bewusst gewählt. Und ich glaube, ich reagiere ein wenig allergisch, wenn ein Autor einem anderen schreibt „Das und das würde ich so und so schreiben“ – vielleicht ein unnötig gekränkter Stolz, doch in mir kommt dann oftmals der Gedanke auf „Naja, aber ich habe es doch geschrieben, und nicht du. Natürlich hättest DU es vollkommen anders geschrieben“
      Das ist gar nicht schnippisch gemeint, doch ich denke, du wirst meine Antwort richtig einordnen.
      Ich danke dir in jedem Fall für deine Mühe, die du hier hinein gesteckt hast! Es ehrt mich ja beinahe, wie gründlich du dir hier Gedanken gemacht hast 😉
      Sie waren mir eine gute Anregung. Kleine Änderungen habe ich bereits vorgenommen und in den nächsten Tagen werde ich das Ding bestimmt nochmal gründlich überarbeiten^^
      Danke dir und liebe Grüße!

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