Kürzestgeschichte: Der Abend, als ich bei mir selbst zu Besuch war

Ich gieße mir Tee ein und frage mich, ob ich denn auch recht gut sitze. Wie die Fahrt war, ob beschwerlich oder mit freier Bahn. Ich neige den Kopf, während ich mir zuhöre. Rühre immerfort den längst aufgelösten Zuckerwürfel in der Tasse um. Ich verliere mich im wirbelnden Strudel der dampfend roten Flüssigkeit.

Dann Blicke ich auf und muss sehen, wie sich ein Schatten über mein Gesicht legt. Schwere Tränen verlassen meine leeren Augen, die wohl eine feuchte Spur auf meinen Wangen hinterlassen müssen. Ich möchte meine Hand ausstrecken, mir über den Rücken streichen, doch ich kann nicht. Meine Schulter zucken lautlos über dem verkrampften Körper. Da muss ein Schmerz in mir sein, denke ich, und rühre weiter meinen Tee. Was könnte ich auch schon sagen? Ich bin ja nur Gast…

11 Gedanken zu “Kürzestgeschichte: Der Abend, als ich bei mir selbst zu Besuch war

  1. Was für eine faszinierende Kürzestgeschichte!
    Sehr traurig und wunderschön zugleich! Man kann sie auf so viele unterschiedliche Weisen deuten. Dass man selbst nicht weiß, was in sich selbst vorgeht, oder dass auf die Metaebene zwischen dem Ich und Über ich gedeutet wird? Ich weiß es nicht, aber es ist irgendwie schön, darüber zu grübeln!

    Ganz liebe Grüße!!

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    1. Oh Dankeschön Mia! 😊
      Mir ist tatsächlich auch erst beim abtippen aufgefallen, dass man sie auch auf andere weisen deuten kann, als in jener, wie sie mir im Kopf erschien… Und genau das ist es auch, was ich daran so mag… Ist doch schön, wenn man ein bisschen Spielraum hat…
      Und vor allem schön, wenn es nicht nur mich, sondern auch andere dazu bringt, zu grübeln 😉
      Liebe Grüße! 💚

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  2. Das tönt wie aus der Einsamkeit geboren.
    Es ist irgendwie schon traurig, dass es oft das innere Leiden und die Zerrissenheit braucht, um die Kreativität freizusetzen. Aber was für ein Wunder, dass wir Mencshen unserem Erleben auf so viele Weisen Gestalt geben können… und uns darin oft selber erst richtig wahrnehmen und erfahren.
    Danke für den anregenden Impuls in de neuen Tag 🙂

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    1. Es freut mich, dass dir die Geschichte einen Impuls geben konnte!
      Tatsächlich bedingt sich Traurigkeit und Kreativität, oft ist eine Seelenqual ein unglaublicher antrieb für das Schaffen… Doch tatsächlich beruht nicht jeder traurige Text auf einer momentanen Einsamkeit. Gerne Blicke ich auf vergangene schlechte Zeiten zurück und schöpfe daraus Inspiration… Greife alte Gedanken auf, verbinde sie mit momentanen und so entsteht etwas neues… Oder aber ich lasse mich von Dingen inspirieren, die ich wahrnehme…
      Zudem nutze ich das Schreiben mittlerweile auch vorallem als Prävention und nicht mehr vordergründig als Ventil : dadurch, dass ich Traurigkeit in Texten verarbeite, trifft sie mich auch nicht mehr derart, wie früher…
      Ganz liebe Grüße an dich🌻

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  3. Meine liebe Luna,
    ich habe diese Geschichte schon vor Stunden gelesen, und war so fassungslos, dass ich nicht gleich schreiben konnte. Denn genau jene Frage, wie sehr ich nur Gast meinerselbst und überhaupt überall (nur) zu Besuch bin, beschäftigt mich seit Tagen sehr.
    Du hast dieser Frage nun einen kleinen Text gegeben, einen der so sehr zu mir passt, dass es eigentlich unglaublich ist, dass Du ihn nicht aus mir geschrieben hast. Aber vielleicht sind wir uns an der Stelle ja sehr ähnlich …
    Dabei gefällt es mir sehr, dass uns womöglich die Liebe zu Tee verbindet, aber ich habe auch Sorge, denn wenn Du die Traurigkeit und Schwermut, die so oft in mir ist, selbst ähnlich empfindest, empfinden musst, dann würde ich das sehr bedauern.
    Du wirkst grundsätzlich so lebensfroh, so heiter, so urfreundlich … – allerdings, ja, das weiß ich wohl, so etwas charakterisiert möglicherweise eben nicht vollständig, nicht vollkommen.
    Du bist eine feine Schreiberin …
    Ganz liebe Grüße an Dich!

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    1. Ui, da hüpft gerade mein Herz! Genau solche Momente sind es doch, die den Autor in mir beglücken! Wenn man es schafft, dass sich ein Leser derart damit identifizieren kann…
      Die Liebe zum Tee verbindet uns wohl in jedem Fall! Für so viele Gelegenheiten das perfekte Getränk… Ach, ich könnte obeslieder auf den Tee schreiben!
      Was die Schwermut angeht… Ich kann wirklich mit großem Glück behaupten, dass es mir tatsächlich gut geht. Ich hatte eine Zeit, da Finsternis über meinen Tagen lag, doch die ist in dieser Form überstanden. Ich habe mich durvh die Arbeit im Tierpark, einen wunderbaren guten Freund und meine Liebe sehr gefangen und gefestigt… Auch, wenn ich immer eine empfindsam Seele bleibe… Deswegen ja, Lebensfreude ist in jedem Fall nicht das einzige Charaktermerkmal 😉 Doch ich möchte mich von nichts mehr derart runter ziehen lassen und ich bin froh, schlechte Phasen gut bewältigen zu können. Mir hat dabei sehr geholfen, zu akzeptieren, dass ich eben so empfindsam bin, wie ich bin, ohne mich dafür schämen zu müssen.
      Schwermütige Texte fußen tatsächlich entweder auf momentane empfindungen, oder aber auf vergangene Erfahrungen und auch Erlebnisse meiner Umgebung. Hier war es zum Beispiel so, dass ein bekannter ein e schwere Zeit durchlebt und sagte, es wäre, als sei er nicht bei sich selbst zuhause. Mich erinnerte dass an die schlechten Jahre in der schule, wie oft ich das gefühl hatte, seltsam neben mir zu stehen, mich nicht fassen zu können… Und dieses gefühl erinnernd entstand dieser Text.
      Zudem ist das Schreiben für mich eine ungemein wirksame Therapie. Ich spüre traurigkeit aufkommen, greife zum Stift und führe sie auf dem Papier vollkommen aus, wodurch ich sie von mir ablenke und verbanne. In dem Moment also, wo ein tief trauriger Text vor mir liegt, ist mein Herz meist schon wieder von der Schwermut befreit… Vielleicht kennst du das ja?
      Es ist mit dem schreiben und der Schwermut so eine Sache, es steht in einer ganz unbegreiflich Beziehung…
      Ich bin in jedem Fall so gerührt über deine Anteilnahme und die darin klingende Sorge um mich! Und ich kann tatsächlich sagen, dass es mir gut geht, auch, wenn immer wieder mal die Traurigkeit über mich kommt…
      Ich bin mir gerade gar nicht sicher, ob diese Antwort einen wirklich verwertbaren Inhalt hat… Ich kann meine Gedanken dazu gerade recht schwer ordnen, denn in meinem Kopf kreist nun die Frage, woher die Geschichten eigentlich kommen, die aus mir fließen…
      Ich danke dir auf jeden Fall für dein Lob und deine Sorge!
      Du bist wirklich ein so herziger Mensch!

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      1. Du fragst, ob Deine Antwort einen „verwertbaren“ Inhalt hat? – Es ist eine so schöne, so ehrliche, so viel Vetrauen schenkende Antwort. Weil Du auf eine ganz besondere Weise über Dich geschrieben hast. So, dass ich empfinde, Dich dadurch wieder ein bisschen differenzierter kennengelernt zu haben.
        Dankeschön dafür. Du bist ein sehr sympathisches Menschenwesen. Ich schätze es sehr, Dir begegnet zu sein und Gedanken mit Dir teilen zu dürfen.

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      2. Ich komme mir ja langsam bekloppt vor… Doch tatsächlich habe ich mal. Wieder das Bedürfnis, dir danke zu sagen!
        Danke für dein Ohr, für deine liebevollen Worte… Deine Wünsche… Ich werde dir in jedem Fall schreiben, sobald ich wieder an Meine Mails ran komme💚
        Ganz liebe liebe Grüße!

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    2. Vielleicht ergänzend dazu noch die Notiz, dass ich nicht permanent ein grinsend Haufen Freude bin (für die Kollegen schon, doch nicht immer in mir oder zuhause), oft habe ich auch Wochen, in denen es mir schwer fällt, das gute zu sehen, weil in mir eine namenlose Schwermut liegt, oder auch eine mit klarer Gestalt, doch ich versuche dem ganzen nicht all zu viel Bedeutung zu geben… Ich kann es einordnen, ich kann mit menschen darüber reden, kann schreiben… Ich koste es aus, überwinden es und möchte dennoch immer von mir sagen dass ich ein lebensfroh Mensch bin, nur eben einer, der sehr empfindsam ist… Mit dieser Sicht fällt es mir viel leichter, aus diesen Phasen aufzuerstehen. Und vielleicht hatte ich vor 3 Wochen auch noch ganz anders geantwortet… Denn es viel mir tatsächlich Monate schwer, alles positiv zu sehen, doch ich habe mich rausgebissen und nun fühlt sich das alles in wieder so ewig her an… Ich fühle mich wieder wie ich und kann den Sonnenschein ohne Schatten genießen…
      Ach ich weiß gar nicht, warum ich dir das schreibe… 🙈
      Es muss wohl einfach grad raus und du scheinst mir der richtige Mensch dafür zu sein… Ich danke dir dafür!

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      1. Hmmm, wir haben nich nur eine „Teeähnlichkeit“ … – Ich bin aber sehr froh, dass Du offenbar inzwischen Wegen und Selbstbewusstsein gefunden hast, mit den Phasen Deines daseins, die es Dir schwer machen, so umzugehen, dass Du nicht mehr nachhaltig traurig sein oder Dich gequält fühlen musst. Das ist unsagbar schön!

        Schreib‘ nur so wie Du magst, wenn Dir danach ist, gern auch per Mail – ich werde Dein Vertrauen stets respektieren, das verspreche ich Dir in aller Öffentlichkeit.

        Abermals liebe Grüße an Dich, Luna!

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